Von Stahlkochern zu Top-Köchen

Der Feinschmecker / Ausgabe 03.05
Text: Wolf Thieme



Auf Grönemeyer und Schimanski ist der Gastronom Claude Huppertz vom "Ange d'Or Junior" in Essen nicht gut zu sprechen. Der eine, ärgert sich der Wirt, habe die Currywurst so inbrünstig besungen, als äße man im Pott nichts anderes. Der andere mit Pommes und Proll-Charme das Kleine-Leute-Klischee Taubenzucht & Schrebergarten verklärt. Beides voll daneben.

Tour de Ruhr. Das ist mehr als die Schalke-Arena, obwohl man ein Spiel unter 62 000 Fußballverrückten mal mitnehmen muss. Mehr auch als "Dönninghaus", die legendäre Imbissbude im Bochumer "Bermudadreieck", von den mampfenden Sat.l-Polizisten Toto und Harry gefeiert, als wären sie die wahren Feinschmecker und nicht Wolfram Siebeck, der aus Duisburg stammt. Ich begann in Essen. Das ist nun mal das kulinarische Zentrum, schon durch Platzhirsche wie "Residence" und "Schloss Hugenpoet". Auf der Fahrt in die City bog ich ab zum "Kölner Hof`. Frohnhausen, ein schlichtes Wohnviertel. Hier soll das sein? Fast wäre ich umgekehrt. Aber dann winkt eine strahlend helle Fassade, drinnen ein un-prätentiöses Ambiente und Heinz Furtmanns fabelhafte Küche, die auf der Speisenkarte gar nicht viel hermacht. Doch Gambas und Jakobsmuscheln auf Rucola-Salat sind butterzart, die crepinette von der Kalbshaxe derb, deftig, herzhaft, und die Zitronen-Trüffel-Jus passt dazu. Trotz der Safran-Servietten-Knödel ist noch Platz für Blaubeeren mit geeister Buttermilch. Der Weinkarte, Schwerpunkt Bordeaux, merkt man an, dass Furtmann damit drei Keller gefüllt hat, ein Schatz für 100 000 Euro.

Nach dieser genussvollen Ouvertüre empfiehlt sich ein Spaziergang die Rüttenscheider Straße hinunter, die zwar etwas angeschickt ist, aber mit dem Metzger "Gronau", dem Eis von "Mörchen" und der "Olivia Culinaria Italia" ein paar gute Adressen und mit der "Oase Due" einen schnörkellosen Italiener hat. Abends dann ins "Hugenpoet". Ich war ein paar Jahre nicht mehr da und hatte damals das Gefühl, der jüngste Gast zwischen vielen Einstecktüchern zu sein. Das Restaurant heißt seit Oktober 2003 "Nesselrode", frischer Wind soll wehen, auch wenn er vorerst noch ein Lüftchen ist. Step by step, sagt Chef-köchin Erika Bergheim. Mit Lasagne vom Loup de Mer und Thymianschaum oder Shütakepilzen am Hummer-Seeteufel-Ragout geht es trotz der knarzenden Hierarchie erkennbar zu neuen Ufern, besonders im jungen Bistro "Hugenpöttchen" in der einstigen Remise, wo die unkonventionelle Küche mit Sauerbraten vom Reh ein jüngeres Publikum anzieht.

Von Essens grünem Süden geht es quer durch die Stadt zu Hannappel" im Vorort Horst. Ein sympathischer Familienbetrieb, den Knut Hannappel als Kneipe vom Vater übernommen hat. Die Randlage machte ihm lange zu schaffen, und sein Gelöbnis damals im Düsseldorfer, Hummerstübchen" - nie wieder Schnitzel, nie wieder Schweinefleisch - war hier nicht zu halten. Nun brät Hannappel auch Steak unter der Senfkruste für die Familie am Nachbartisch. und für mich, den unverhofft erschienenen Fein-schmecker. improvisiert er ein kleines Menü: Medaillon vom Seeteufel, Kalbsbäckchen in Balsamico mit Pastinakenpüree und Rehrücken in Zimt-Kardamom-Jus - der Mann kann kochen. Ich freue mich aufs "Residence". Weil Patron Berthold Bühler trotz 20 Jahren als selbstständiger Unternehmer ohne Sponsor so tapfer und schwunghaft modern geblieben ist, aber den Trend zu Schäumchen und spanischen Löffellaboratorien nie mitgemacht hat. Das Menü von Bühler und Küchenchef Henri Bach, ein Fest: Seezungenterrine mit Tomatengelee, dorade royale in Estragonkruste, Zander im Zucchinimantel mit Kürbis-Mandel-Chutney, Spieß und Bäckchen vom Ferkel mit Rahmsauerkraut, Rehmedaillon in Gänselebersauce, Tiramisu-Törtchen mit Zwetschgenröster und Zartbitter-Eis. Fehlerfrei, lecker.

Was isst man nach einem solchen Abend? Vielleicht doch mal Currywurst? Die Neugier auf einen, der demi-chef bei Claude Bourgueil in Düsseldorfs noblem "Schiffchen" gewesen ist und nun einen Imbiss in Wattenscheid betreibt, führt mich in den "Profi-Grill". Raimund Ostendorp schnippelt den Krautsalat noch selbst und schaufelt ihn nicht aus dem Eimer. Für die Wurst hat er einen Qualitätsfleischer gefunden, Schaschlik- und Currysauce sind sein Rezept. In dem kleinen Laden mischen sich Handwerker, Arbeits-lose und Geschäftsleute, parkt die Chauffeurslimousine neben dem Lieferwagen. "Lieber Einäugiger unter Blinden", sagt Ostendorp, bei dem die Wurst nicht in der Pfanne zusammenschnurrt. Ein amüsanter Abstecher.

Abends bei Claude Huppertz, der zu den Veteranen der Branche gehört und Anfang der 70er-Jahre noch nach Paris gefahren ist, um Brunnenkresse zu kau-fen. Der 1990 seine Michelin-Sterne zurückgab, weil er den Firlefanz Cloche-Riedel-Christofle nicht mehr mitmachen wollte. In seinem eigenwillig gestylten "Auge d'Or Junior" gibt es Schmorbra-ten, Ente aus dem Wok und "verrücktes Birma-Huhn". Seine Küche lässt sich nicht einordnen, aber sie schmeckt. Kulinarisch hat sich nicht viel geän-dert zwischen Dortmund und Duisburg. Eine Hand voll bekannter Namen macht das Rennen unter sich aus, mit wenig Sinn für modische Extravaganzen. Vielleicht liegt es daran, dass im Pott immer schon gearbeitet wurde - und gefeiert anderswo. Mittags Kartoffelpuffer mit Kaviar, in Essen ein Unding, hat Bühler von der "Residence" gesagt.

Monströse Zechen und Stahlwerke, längst stillgelegt, zählen heute zur schicken Industriekultur, wie die Zeche Zollverein XII in Essen, wo früher gut 12 000 Tonnen Kohle jährlich gefördert worden sind und man heute im "Casino Zollver-ein" in der ehemaligen Kompressorhalle Kalbstafelspitz mit blauen Macaire-Kartoffeln essen kann. Im Duisburger Innenhafen macht sich mit schrillen Farben die Szene breit, nur die Hochofenanlage von Duisburg-Nord, heute Landschaftspark, lässt den Besucher ahnen, was an der Ruhr einst Maloche hieß. Auf der Kathedrale der Arbeit wachsen Birken, Seerosen blühen in den Kühlbecken, die Zukunft heißt Solarenergie, Logistik, Kulturbetrieb mit Museen und Musicals. Platt gemacht worden ist das moderne Hüttenwerk von Krupp im Vorort Duisburg-Rheinhausen, der heute ein friedliches Schlafstädtchen ist. Im "Gasthof Brendel", seit drei Generation in Familienbesitz, probiere ich Brotsalat mit gelbem lardo, schaumiges Blutwurstparfait Schnippelbohnensalat und Drachenkopf mit pulpo: gute Küche beim begabten Brendel. Einmal in der Gegend, es abends im "Mühlenberger Hof" - Marika Rökk was here - das Überraschungsmenü, obwohl ich Überraschungen nicht mag. Ab getrockneter Schweinekamm, Stubenküken und die Spezialität Rübenkraut-Eis mit Schattenmorellen sind von akzeptabler, vwenn auch konventioneller Qualität.

Vom Rhein schmecke Richtung Dortmund zurück "Hackbarth's" in Oberhausen bei Flusskrebs-Eintopf mit piccata von der Sardine auf italienischem Gemüsesalat. Ein Höllenlärm klingt aus der Küche, dabei sind im Restaurant nur drei Tische besetzt. Gleich gegenüber liegt das Einkaufszentrum "CentrO" mit Einkaufspassagen und Clubs, eine Erlebniswelt wie in Florida. Nach dem Cocktail "Sex in the Sahara" im orientalischen "Efendy" werfe ich einen Blick in die Disco "Adiamo" mit ihren Kirchen-fenstern aus Bristol, bevor mich das angenehme Hotel "Margarethenhöhe" in Essen aufnimmt, citynah in einer Krupp-Arbeiter-Siedlung der Kaiserzeit. Maria und Harald Mintrop, die das Haus 2002 eröffnet haben, führen in Essen-Burgaltendorf ein zweites Hotel im Grünen, Zimmer und Pool glänzen dort mit raffinierten Farben und Effekten, Designer Dirk Obliers schwärmt von "Lichttunneln ins unendliche Nichts". Krass ist danach der Ausstieg aus der Moderne. Das Bochumer "Stadtpark-Restaurant" sieht schon von außen so steif aus, dass man unwillkürlich am Sitz der Krawatte zupft. Doch drinnen wartet eine angenehme Überraschung. Sie beginnt mit Scheiben vom Schwertfisch in Oliven-Pfeffer-Vinaigrette und setzt sich fort mit warmem Sandwich vom Steinbutt, mit Bündnerfleisch und Spinat gefüllt. Der Schwertfisch wurde, wie der kolossale Chefkoch Johannes Lensing erklärt, mit rosa und grünem Pfeffer, Olivensaft, Oliven und Salz in einer Safran-Limetten--Sauce mariniert - der Geschmack kann süchtig machen.

Auch das Sandwich ist alles andere als ein Modegag. Die Steinbutttranchen, dick und saftig, vertragen sich besser als vermutet mit dem Bündnerfleisch. Ich werde wiederkommen, um die Wildtaube unter der Eisenkraut-Gänseleber-Haube mit weißer Portweinsauce zu probieren. Der Höhepunkt zum Abschluss ist das "La Table" im Spielcasino von Hohensyburg. Ausgerechnet auf der Etage mit den Spielautomaten öffnet sich das Schlupfloch ins Paradies. Das Restaurant ist Luxus pur, das Menü ein Traum. Nachts um zwei blicke ich bei Kaffee und Cohiba zurück: Vier Amuse-Gueules von der Hummermousse bis zur Auster mit Apfelschaum. Loup de Mer mit Mais und schwarzem Olivenöl. Roulade vom Steinbutt und langoustine. Filet vom kanadischen Bison mit Pfifferlingen in marokkanischer Sauce. Eine Kostprobe vom geräucherten australischen Wagyu-Rind mit Gänselebercroûtons. Marinierter Ziegenfrischkäse mit Tomaten-Minze-Salat. Zwischen den Gerichten gab es Löffelproben, die auf den Geschmack des nächsten Gerichts einstimmten, zum Beispiel Koriander mit einem karamellisierten Wachtelei auf Ingwer oder Bouillonkartoffel, in der Brühe gebunden. Hier passt das Wort Schlemmerorgie, obwohl ich darauf verzichtet habe, in den zehn Jahrgängen Latour, den 28 Mouton Rothschild und Lafite zu stöbern, sondern bei einem Riesling von Niagara Peninsula und einem 1992er Monte Tanic aus Mexiko geblieben bin. Dem verlockenden Käsewagen winke ich ab. Genug ist genug.

Mit Chefkoch Thomas Bühner und seiner Lebensgefährtin Restaurantleiterin Thayarni Kanagaratnam aus Sri Lanka, treffe ich mich an der Bar. Trotz des langen Abends sieht Bühner neu. 300 verschiedene Zubereitungen abends in der Küche, sagt er. Die Ruhr ist keine Region, um Trends am Herd zu erkunden. Die Zeit der fiebrigen Innovationen ist ohnehin vorüber. "Es geht um Produktqualität", sagt Bühner, "und erstklassigen Service. Nur beides zusammen funktioniert. Niemand würde heute den Service noch Teller-Taxi rufen". Beim Absacker erklären wir die Ära der Eifersüchteleien weisser und schwarzer Brigade für beendet.