Von Stahlkochern zu Top-Köchen

Raimund Ostendorp
"Aufstieg in die Kreisklasse"


11 /97 SNACK BISTRO FAST FOOD 17


Die Bochumer Straße in Bochum-Wattenscheid hat nichts Bemerkenswertes zu bieten. Schmucklose Häuserzeilen, reichlich Autos, Straßenbahn, typische Vorstadt. Auch der Imbiß im Haus Nr. 96 gleicht vielen Tausend anderen im Revier. Immerhin steht "Profi- Grill" über der Tür. "Profi" klingt vielversprechend. Hat die Bochumer Straße doch etwas Besonderes vorzuweisen?

Der Profi heißt Raimund Ostendorp, ist 29 Jahre alt, groß gewachsen und kommt aus der Gourmet-Gastronomie. Höhepunkt seiner Karriere: das "Schiffchen" in Düsseldorf-Kaiserswerth, eines der drei Drei-Sterne-Restaurants in Deutschland. Ausgezeichnet wurde der junge Mann überdies mehrfach bei Wettbewerben in seinem Fach.

Warum begab er sich nach vier Jahren "Haute-Cuisine" in die Niederungen des Imbißgeschäfts, ein Abstieg gewissermaßen aus der Ersten Liga in die Kreisklasse? Diese Frage stellt sich natürlich.

Raimund Ostendorp kann sie plausibel beantworten. Selbständigkeit hat er mit seinem Schritt in die Snackbranche der Abhängigkeit vorgezogen. Entronnen ist er dem Streß in den Sterne-Küchen. "Was glauben Sie, was dort los ist, wenn bei Hochbetrieb ein Dutzend Köche durcheinanderwirbeln?"

Die Selbständigkeit hat ihm Verantwortung aufgebürdet. "Aber nicht viel mehr, als ich sie etwa als Demi-Chef de Cuisine zu tragen hatte."

Den sicheren Arbeitsplatz hat er aufgegeben und dafür unternehmerisches Risiko eingehandelt. "Ich werde damit fertig!"

Der Grill hat jeden Tag geöffnet. Von 8.30 bis 22.30 Uhr ist Ostendorp hier anzutreffen. Sein Ar- beitstag ist gegenüber der Zeit vor der Selbständigkeit länger. "Aber wenn man sein eigener Chef ist, kann man sich eine Pause spätnachmittags im Hinterzim- mer schon mal genehmigen!"

In der Gourmet-Küche hat er von 12 bis 24 Uhr gearbeitet, je zwölf Stunden an sieben Tagen, gut 80 Stunden die Woche!

Und der Verdienst damals? "1.200,- DM netto im Monat bei freier Kost und Logis." Heute hat er seine Wohnung in Betriebsnähe und seine Einkünfte betragen das Mehrfache des früheren Lohns - bei einem respektablen Umsatz, den der "Grill" erzielt, und relativ geringen Kosten. "Es ist mehr, als ich erwarten konnte, damals als ich anfing."

Angefangen hat Raimund Ostendorps zweite Karriere mit der Suche nach einem geeigneten Betrieb, "auch in einer 1b-Lage". Bochumer Straße 96 bot sich an. Das zum Imbiß neu umgebaute kleine Ladenlokal konnte er für, monatlich DM 1.468,- "warm mieten. Das Inventar erwarb er für 80.000 DM. Dies betraf den Gastraum mit 20 Plätzen und einem Stehtisch, Counter und Küche, gut 50 qm insgesamt.

Einfach besser!

Die Technik (von EKU) entsprach dem Mlndeststandard, die Möblierung den Ansprüchen der Gäste, einfache Tische und Stühle, Wachstuch auf den Tischen. "Mit Chrom und Granit haben die Leute hier wenig im Sinn, die wollen ihren` Imbiß, wie man ihn im Revier kennt - solide, ohne Schnickschnack."

Und sie wollen was Solides auf dem Teller! So sprach es sich bald, nachdem der "Profi-Grill" eröffnet hatte, in der Umgebung herum - bei "Krupp", in den Geschäften, Handwerksbetrieben, auf Baustellen und in dem Wohnviertel nahe der verkehrsreichen Bochumer Straße - daß Schnitzel, Pommes frites, Frikadellen, Krautsalat - dies ganze vertraute imbiß-typische Angebot - hier "einfach besser" zu haben war als anderswo. "Den Grund dafür hab' ich für mich behalten. Wo ich früher gekocht habe, interessiert höchstens die anspruchsvollen Kunden. Der kann vernünftig Fleisch braten, sagen sie, wenn sie ein Steak bestellen. Bei meinen Konkurrenten kriegen sie so etwas nicht - auch wenn es noch so viele im Umkreis sind." Raimund Ostendorp ist der einzige deutsche Imbißbetreiber in diesem Teil Bochums.

"Zu mir kommt der Millionär und der Sozialhilfeempfänger." 80% bis 90% beträgt der Stammkundenanteil. So wie er mit Stammgästen am Tisch plaudert, wenn es die Zeit erlaubt, so "garniert" der umgängliche junge Mann hinter der Theke seine Dienstleistung gern mit einem Scherz, einem ermunternden Wort auch bei anderen eiligen Kunden. "So wie früher bei Tante Emma"', erklärt er und macht kein Hehl daraus, daß er selbst diese "Kommunikation" mag, wie es seinem rheinischen Naturell entspricht. Dank seiner fachlichen Fertigkeit kann er es sich leisten, sich den Kunden ungezwungen zuzuwenden.

Er ist nicht überfordert, ist auch, wenn's "brennt", nicht hektisch bei der Sache; die Arbeit geht ihm von der Hand. "Ich empfinde sie nicht als Belastung auch nach zehn Stunden", sagt er. Allerdings: seine Freizeit ist knapp. "Beziehungen halten bei mir nicht lange", kommentiert der junge Mann die Folgen. "Verheiratet" ist er mit seinem Betrieb - im Augenblick.

Schlüssel zum Erfolg


Berufliche Kompetenz und psychologisches Geschick sind zwei Ingredienzen seines Erfolgs. Um- sicht und Zielstrebigkeit kommen hinzu - und eine kluge Personalführung. Den Zweischicht-Be- trieb teilen sich insgesamt acht Aushilfen. "Fast alle sind Jugoslawinnen. Sie sind zuverlässig und sorgen selber für Ersatz, falls eine mal nicht kommen kann."

Für den Chef selbst bleibt genug zu tun. Er kocht die Saucen in der Vorbereitungsküche jeden Morgen frisch, schneidet und würzt jen Gyros. Das gleiche gilt für die Schnitzel, die im "Profi-Grill" der aesolute Renner sind: Jeder, der ein Schnitzel bestellt, kann zuschauen, wie es frisch für ihn in jer Pfanne gebraten wird. Das =leisch liefert ein guter Metzger, 3ie Hähnchen bezieht Ostendorp vom Großhandel, Gemüse und Salate kauft er auf dem Großmarkt.

Als Koch und Lebensmittelfach- mann legt der Chef an die Qualität -ohe Maßstäbe an. "Ich kaufe wcht die Mayonnaise für 13,- DM pro Eimer, sondern die für 32,- DM.

Weitere Besonderheiten: Kurt's Frikadelle und Kurt's Sauce. Wer ist Kurt? "Der Erfinder von Frikadelle und Sauce war ein Metzger und Imbißbetreiber mit Vornamen Kurt der einige Jahrzehnte lang diese Gerichte exklusiv verkaufte. Die Leute in der Umgebung schätzen diese Spezialitäten, und so habe ich nach dem Tod von Kurt die Rezepturen übernommen und biete Frikadelle und Sauce nun meinen Gästen mit Erfolg an."

Bei dem beliebten Fleischklops handelt es sich um ein ummanteltes Hackröllchen, das vor dem Fritieren in Scheiben geschnitten und zusammen mit der Sauce, einer untypischen Currysauce mit wenig Tomatengehalt, serviert wird. Zu berichten ist hier von der Kundin, die zur Frikadelle stets die sechsfache Menge Sauce als üblich bestellt!

Auch das Segment Salate beweist die Kreativität des Kochs. Bis auf einen kommen sie aus seiner Hand. Auswählen kann der Kunde aus einem Angebot, das u. a. Bohnen-, Nudel-, Thunfisch, Tomaten- und Krautsalat umfaßt. Für die Herstellung des letztgenannten Klassikers verwendet Raimund Ostendorp Weißkohl aus dem Garten seines Vaters, den dieser zu Hause am Niederrhein bestellt. "Die Ware ist garan- tiert ungespritzt - und enorm günstig!"

Besonders gefragt von den Kunden sind auch Hähnchen und Hamburger, "die großen 100 Gramm schweren Burger von Salomon." Den Stammgästen wer- den wechselnde Tagesgerichte offeriert, z. B. Erbsensuppe für DM 4,90, Gulasch mit Nudeln für DM 6,90 und Putensteak mit Spargel für DM 11,90. Unnötig zu erwähnen, wer die Gerichte von A bis Z zubereitet!

Das Sortiment ist schmal, keine den Rahmen sprengende "Exoten", aber alles von gehobener, solider Qualität. Die Preise: Portion Pommes frites 1,70, Bratwurst 2,50, 1/2 Hähnchen 4,70 und diverse Schnitzelvarianten ab 6,50 DM. Die Kunden erwarten, daß für DM 10,- der Teller gut gefüllt ist. Einen Lieferservice plant er nicht. "Die Leute kommen von allein", sagt er. Motorisierte Kundschaft - und das ist die große Mehrheit der "Grill"-Besucher - findet beiderseits der Straße breite Park- streifen vor. Ein großer Vorteil speziell für die Gäste, die vier, fünf Kilometer zurücklegen, um hierzu essen; auch Taxifahrern kommt es zustatten, daß sie stets Platz zum Parken haben.

Was den jungen Unternehmer besonders freut, ist, daß seine Umsätze sommers wie winters kaum variieren. Monatliche Differenzen sind unwesentlich. Und ebenso bemerkenswert ist Ostendorps Feststellung: "Der Umsatz steigt." Ein Beweis mehr, daß es für ihn richtig war, der großen Brigade der Schnellköche beizutreten. Er ist aufgestiegen - in die Kreisklasse.