Von Stahlkochern zu Top-Köchen
Raimund Ostendorp
"Aufstieg in die Kreisklasse"
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Die Bochumer Straße in Bochum-Wattenscheid hat nichts
Bemerkenswertes zu bieten. Schmucklose Häuserzeilen, reichlich
Autos, Straßenbahn, typische Vorstadt. Auch der Imbiß
im Haus Nr. 96 gleicht vielen Tausend anderen im Revier. Immerhin
steht "Profi- Grill" über der Tür. "Profi" klingt
vielversprechend. Hat die Bochumer Straße doch etwas
Besonderes vorzuweisen?
Der Profi heißt Raimund Ostendorp, ist 29 Jahre alt,
groß gewachsen und kommt aus der Gourmet-Gastronomie.
Höhepunkt seiner Karriere: das "Schiffchen" in
Düsseldorf-Kaiserswerth, eines der drei
Drei-Sterne-Restaurants in Deutschland. Ausgezeichnet wurde der
junge Mann überdies mehrfach bei Wettbewerben in seinem
Fach.
Warum begab er sich nach vier Jahren "Haute-Cuisine" in die
Niederungen des Imbißgeschäfts, ein Abstieg
gewissermaßen aus der Ersten Liga in die Kreisklasse? Diese
Frage stellt sich natürlich.
Raimund Ostendorp kann sie plausibel beantworten.
Selbständigkeit hat er mit seinem Schritt in die Snackbranche
der Abhängigkeit vorgezogen. Entronnen ist er dem Streß
in den Sterne-Küchen. "Was glauben Sie, was dort los ist, wenn
bei Hochbetrieb ein Dutzend Köche durcheinanderwirbeln?"
Die Selbständigkeit hat ihm Verantwortung aufgebürdet.
"Aber nicht viel mehr, als ich sie etwa als Demi-Chef de Cuisine zu
tragen hatte."
Den sicheren Arbeitsplatz hat er aufgegeben und dafür
unternehmerisches Risiko eingehandelt. "Ich werde damit
fertig!"
Der Grill hat jeden Tag geöffnet. Von 8.30 bis 22.30 Uhr ist
Ostendorp hier anzutreffen. Sein Ar- beitstag ist gegenüber
der Zeit vor der Selbständigkeit länger. "Aber wenn man
sein eigener Chef ist, kann man sich eine Pause
spätnachmittags im Hinterzim- mer schon mal genehmigen!"
In der Gourmet-Küche hat er von 12 bis 24 Uhr gearbeitet, je
zwölf Stunden an sieben Tagen, gut 80 Stunden die Woche!
Und der Verdienst damals? "1.200,- DM netto im Monat bei freier
Kost und Logis." Heute hat er seine Wohnung in Betriebsnähe
und seine Einkünfte betragen das Mehrfache des früheren
Lohns - bei einem respektablen Umsatz, den der "Grill" erzielt, und
relativ geringen Kosten. "Es ist mehr, als ich erwarten konnte,
damals als ich anfing."
Angefangen hat Raimund Ostendorps zweite Karriere mit der Suche
nach einem geeigneten Betrieb, "auch in einer 1b-Lage". Bochumer
Straße 96 bot sich an. Das zum Imbiß neu umgebaute
kleine Ladenlokal konnte er für, monatlich DM 1.468,- "warm
mieten. Das Inventar erwarb er für 80.000 DM. Dies betraf den
Gastraum mit 20 Plätzen und einem Stehtisch, Counter und
Küche, gut 50 qm insgesamt.
Einfach besser!
Die Technik (von EKU) entsprach dem Mlndeststandard, die
Möblierung den Ansprüchen der Gäste, einfache Tische
und Stühle, Wachstuch auf den Tischen. "Mit Chrom und Granit
haben die Leute hier wenig im Sinn, die wollen ihren` Imbiß,
wie man ihn im Revier kennt - solide, ohne Schnickschnack."
Und sie wollen was Solides auf dem Teller! So sprach es sich bald,
nachdem der "Profi-Grill" eröffnet hatte, in der Umgebung
herum - bei "Krupp", in den Geschäften, Handwerksbetrieben,
auf Baustellen und in dem Wohnviertel nahe der verkehrsreichen
Bochumer Straße - daß Schnitzel, Pommes frites,
Frikadellen, Krautsalat - dies ganze vertraute imbiß-typische
Angebot - hier "einfach besser" zu haben war als anderswo. "Den
Grund dafür hab' ich für mich behalten. Wo ich
früher gekocht habe, interessiert höchstens die
anspruchsvollen Kunden. Der kann vernünftig Fleisch braten,
sagen sie, wenn sie ein Steak bestellen. Bei meinen Konkurrenten
kriegen sie so etwas nicht - auch wenn es noch so viele im Umkreis
sind." Raimund Ostendorp ist der einzige deutsche
Imbißbetreiber in diesem Teil Bochums.
"Zu mir kommt der Millionär und der
Sozialhilfeempfänger." 80% bis 90% beträgt der
Stammkundenanteil. So wie er mit Stammgästen am Tisch
plaudert, wenn es die Zeit erlaubt, so "garniert" der
umgängliche junge Mann hinter der Theke seine Dienstleistung
gern mit einem Scherz, einem ermunternden Wort auch bei anderen
eiligen Kunden. "So wie früher bei Tante Emma"', erklärt
er und macht kein Hehl daraus, daß er selbst diese
"Kommunikation" mag, wie es seinem rheinischen Naturell entspricht.
Dank seiner fachlichen Fertigkeit kann er es sich leisten, sich den
Kunden ungezwungen zuzuwenden.
Er ist nicht überfordert, ist auch, wenn's "brennt", nicht
hektisch bei der Sache; die Arbeit geht ihm von der Hand. "Ich
empfinde sie nicht als Belastung auch nach zehn Stunden", sagt er.
Allerdings: seine Freizeit ist knapp. "Beziehungen halten bei mir
nicht lange", kommentiert der junge Mann die Folgen. "Verheiratet"
ist er mit seinem Betrieb - im Augenblick.
Schlüssel zum Erfolg
Berufliche Kompetenz und psychologisches Geschick sind zwei
Ingredienzen seines Erfolgs. Um- sicht und Zielstrebigkeit kommen
hinzu - und eine kluge Personalführung. Den Zweischicht-Be-
trieb teilen sich insgesamt acht Aushilfen. "Fast alle sind
Jugoslawinnen. Sie sind zuverlässig und sorgen selber für
Ersatz, falls eine mal nicht kommen kann."
Für den Chef selbst bleibt genug zu tun. Er kocht die Saucen
in der Vorbereitungsküche jeden Morgen frisch, schneidet und
würzt jen Gyros. Das gleiche gilt für die Schnitzel, die
im "Profi-Grill" der aesolute Renner sind: Jeder, der ein Schnitzel
bestellt, kann zuschauen, wie es frisch für ihn in jer Pfanne
gebraten wird. Das =leisch liefert ein guter Metzger, 3ie
Hähnchen bezieht Ostendorp vom Großhandel, Gemüse
und Salate kauft er auf dem Großmarkt.
Als Koch und Lebensmittelfach- mann legt der Chef an die
Qualität -ohe Maßstäbe an. "Ich kaufe wcht die
Mayonnaise für 13,- DM pro Eimer, sondern die für 32,-
DM.
Weitere Besonderheiten: Kurt's Frikadelle und Kurt's Sauce. Wer ist
Kurt? "Der Erfinder von Frikadelle und Sauce war ein Metzger und
Imbißbetreiber mit Vornamen Kurt der einige Jahrzehnte lang
diese Gerichte exklusiv verkaufte. Die Leute in der Umgebung
schätzen diese Spezialitäten, und so habe ich nach dem
Tod von Kurt die Rezepturen übernommen und biete Frikadelle
und Sauce nun meinen Gästen mit Erfolg an."
Bei dem beliebten Fleischklops handelt es sich um ein ummanteltes
Hackröllchen, das vor dem Fritieren in Scheiben geschnitten
und zusammen mit der Sauce, einer untypischen Currysauce mit wenig
Tomatengehalt, serviert wird. Zu berichten ist hier von der Kundin,
die zur Frikadelle stets die sechsfache Menge Sauce als üblich
bestellt!
Auch das Segment Salate beweist die Kreativität des Kochs. Bis
auf einen kommen sie aus seiner Hand. Auswählen kann der Kunde
aus einem Angebot, das u. a. Bohnen-, Nudel-, Thunfisch, Tomaten-
und Krautsalat umfaßt. Für die Herstellung des
letztgenannten Klassikers verwendet Raimund Ostendorp
Weißkohl aus dem Garten seines Vaters, den dieser zu Hause am
Niederrhein bestellt. "Die Ware ist garan- tiert ungespritzt - und
enorm günstig!"
Besonders gefragt von den Kunden sind auch Hähnchen und
Hamburger, "die großen 100 Gramm schweren Burger von
Salomon." Den Stammgästen wer- den wechselnde Tagesgerichte
offeriert, z. B. Erbsensuppe für DM 4,90, Gulasch mit Nudeln
für DM 6,90 und Putensteak mit Spargel für DM 11,90.
Unnötig zu erwähnen, wer die Gerichte von A bis Z
zubereitet!
Das Sortiment ist schmal, keine den Rahmen sprengende "Exoten",
aber alles von gehobener, solider Qualität. Die Preise:
Portion Pommes frites 1,70, Bratwurst 2,50, 1/2 Hähnchen 4,70
und diverse Schnitzelvarianten ab 6,50 DM. Die Kunden erwarten,
daß für DM 10,- der Teller gut gefüllt ist. Einen
Lieferservice plant er nicht. "Die Leute kommen von allein", sagt
er. Motorisierte Kundschaft - und das ist die große Mehrheit
der "Grill"-Besucher - findet beiderseits der Straße breite
Park- streifen vor. Ein großer Vorteil speziell für die
Gäste, die vier, fünf Kilometer zurücklegen, um
hierzu essen; auch Taxifahrern kommt es zustatten, daß sie
stets Platz zum Parken haben.
Was den jungen Unternehmer besonders freut, ist, daß seine
Umsätze sommers wie winters kaum variieren. Monatliche
Differenzen sind unwesentlich. Und ebenso bemerkenswert ist
Ostendorps Feststellung: "Der Umsatz steigt." Ein Beweis mehr,
daß es für ihn richtig war, der großen Brigade der
Schnellköche beizutreten. Er ist aufgestiegen - in die
Kreisklasse.