Ex-Spitzenkoch führt Pommesbude im Pott

Der Westen, Panorama, 30.05.2008, Von Rolf Schraa, dpa

Wattenscheid (dpa) - Zwei Jahre lang hat er im Düsseldorfer «Schiffchen» Trüffel gehobelt und teuren Hummer garniert, jetzt rührt Raimund Ostendorp mit Begeisterung Sauce für die Currywurst, das Leibgericht des Kohlenpotts.

Der ehemalige Demi-Chef im Drei-Sterne-Restaurant in der Landeshauptstadt leitet seit 17 Jahren den «Profi-Grill» an der tristen Bochumer Straße in Wattenscheid. «Das sind 17 Jahre ohne Krankenschein und 362 Tage auf», sagt der 40-Jährige. «Ich versuch hier, ein bisschen Ruhrgebiet festzuhalten.»

Ostendorps «Profi-Grill» ist ein Ort voller Klischees wie aus einer Vorabendserie. Vor der Glastheke der wackelige Holzstehtisch und das Kundenklo. Dunkles Fachwerk-Imitat an der Decke, an der Wand das Plakat vom Fußball-Kreispokal in Bochum-Werne. Pommes 1,20, Bratwurst 1,80, Wiener Schnitzel 4,20 Euro steht auf der Speisekarte, im Gastraum sitzt ein Mädchen vor der Frittenschale und macht Hausaufgaben. «Wollt Ihr noch Majo drauf», ruft Ostendorp zwei Kunden im Blaumann zu. «Ne, ich werd zu dick», antwortet der eine.

Ostendorp kennt ihn seit Jahren - wie viele andere Kunden, die mehrmals pro Woche hereinkommen - und setzt sich kurz an den Tisch dazu. «Wenn hier einer Streit mit seiner Frau hat oder Trennung - ich krieg es sofort mit», sagt der Fritten-Koch. «Denn mit der Neuen kommt der ja auch wieder hier hin.» Gäste, die «einmal wie immer» bestellen, gibt es reichlich im «Profi-Grill». Ein Pärchen aus Berlin mit Ruhrgebiets-Wurzeln hat im Grill letztens Hochzeit gefeiert. «Und wenn einer mit seinen drei Kindern kommt, stell ich ihm auch mal einen Krautsalat oder eine Fanta umsonst hin», erzählt Ostendorp.

In seiner Drei-Sterne-Zeit unter dem strengen Chefkoch Jean-Claude Bourgueil im «Schiffchen», wo das Menu 136 Euro kostet, fehlte für solche Gesten und ein Schwätzchen mit Gästen oder Kollegen die Zeit: «Das hat der Alte nicht geduldet», erzählt Ostendorp, «wenn sie teure Seezunge machen, können sie dabei nicht quatschen». Sogar beim Gang ins Kühlhaus habe Bourgueil Gespräche verboten. «Wir sollten uns konzentrieren, sonst gab's sofort eine Ansage.»

Irgendwann reichte dem gebürtigen Niederrheiner aus einem Dorf bei Uedem der Druck. Trotz erster Auszeichnungen auf Stadt- und Landesebene und guter Zeugnisse bei Restaurant-Stationen in Krefeld, Köln und Hannover entschied er sich für das genaue Gegenmodell zur Haute Cuisine. Vom Ehepaar Kurt Kotzlowski in Wattenscheid, das ein paar Häuser weiter jahrzehntelang eine Imbißstube betrieben hatte, übernahm Ostendorp 1991 den Kundenstamm und das Frikadellen-Rezept. «Kurts Frikadelle» ist bis heute für 1,50 Euro im Angebot.

Der ausgestiegene Drei-Sterne-Koch versucht, die Qualitätsansprüche aus seinem ersten kulinarischen Leben auf die Fritten-Scheune zu übertragen: Mehrfach pro Woche fährt er früh morgens zum Wochenmarkt und kauft Gemüse für die Salate, Wurst wird beim ihm nicht vakuumverpackt, das Fleisch kommt direkt von einem Wattenscheider Metzger, Schnitzel landen bei Ostendorp nicht in der Fett-Friteuse, sondern grundsätzlich in der Pfanne und danach auf Marken-Porzellan-Tellern. Seine 30 Liter Currysauce pro Tag rührt der Chef früh morgens eigenhändig mit Tomatenmark, Bratenfonds und frischen Kräutern an - nicht aus Ketchup und Wasser.

Trotzdem bleibt Pommesbude immer Pommesbude - und soll auch nicht mehr werden. «Bei mir gibt's keinen Espresso aus der Designermaschine, sondern gebrühten Kaffee, nichts Süßes und keinen Fisch», sagt Ostendorp.

Genau damit ist er zur Institution im wirtschaftlich nicht gerade gesegneten Wattenscheider Stadtteil geworden - und zum Medienliebling. Vom Echo der Frau über die Financial Times bis zum WDR für die «Sendung mit der Maus» waren schon Redakteure in seinem Imbiss. Auch Firmenchefs von Krupp bis Karstadt schauten rein. Was sie im Profi-Grill wollen? «Jede Region sucht doch nach Identifikationspunkten. Die gibt's bei mir mit der Currywurst.»